The letter from Johann Philipp Kirnberger to Johann Nikolaus Forkel, in which the former defines the keyboard temperament that is now known as "Kirnberger III"

This was published in 1871 in the Allgemeine Musikalische Zeitung (AMZ) as the third in a series of articles, by H. Bellermann, on letters from Kirnberger to Forkel. This letter is undated, as the ending with the date is missing. Bellermann dated it to 1779 based on its content compared with that of other complete letters.

The following reproduces the content of the letter as it appeared in the AMZ, omitting Bellermann's footnotes. The temperament in question is defined near the end and is identified by Kirnberger in the final table as "II".


Hochzuverehrender werthester Freund! Dero mir höchst angenehme Zuschrift nebst dem Plan, der Punkt, wie Dieselben nach angezeigter Ordnung über die Musik schreiben werden, wie auch die Einrichtung des künftigen Winter-Concerts in Göttingen habe ich richtig erhalten.

Es ist mir besonders erfreulich, dass Sie sich die Geduld gerne nehmen wollen, meine weitschweifigen Briefe lesen zu wollen. Es ist ein Unglück für mich, dass ich mich nicht ins engere ziehen kann; ich wünsche nur, dass Sie mich verstehen mögen.

Ich kann Ihnen nicht genugsam beschreiben, mit welchem Vergnügen ich den Inhalt der Punkte wegen Ihrer systematischen Ordnung gelesen und approbiret habe. Da nun so viele Sachen mit darunter angemerkt worden , worüber noch kein Theoretiker ein Wort erwähnt, so liegt mir selbst viel daran, dass davon viel vortheilhaftiges und nützliches gesagt würde. Dass ein Mensch nicht alles wissen kann, wenigstens in allen Fächern, deren die Musik viele hat, gleich gross sei, ist wohl unstreitig. Daher wenn mehrere Hand anlegen, so wird, wenn es auch weiter nichts hilft, doch von manchen Stoff zur Ausarbeitung gegeben.

Für meinen Theil erbiete mich alles mögliche nach meinen geringen Kräften hierzu mit beitragen zu helfen. Ich mache also den Anfang mit der Stölzel'schen Abhandlung Canon perpetuum, welche gewiss allen lehrbegierigen Contrapunktisten angenehm sein wird. Die unter dem Texte beigefügten Noten habe ich durch Uebersetzung der griechischen und lateinischen vorkommenden Wörtern deutsch beigefügt, und zwar auf Ordre meiner Durchlauchtigsten Prinzessin, Welche es für nöthig erachtete. - Auch folgt ein altes Manuscript von einem halben Bogen anbei, welches mir der Herr Hoffmann aus Breslau vor kurzem zuschickte. Mit seiner beigefügten Anmerkung bin ich gleicher Meinung. Machen Sie damit einen Gebrauch nach Dero Gefallen.

In Gottsched's "Ausführliche Redekunst" Seite 313 stehen die meisten dieser Figuren deutsch erklärt, und noch mehrere, die vielleicht auch musikalisch zu nutzen wären. Das Blatt selbst behalten Sie, ich habe es mir zum Spass copirt, um auch darüber nachzudenken.

Ich hoffe, dass Sie meine dritte Abtheilung meines zweiten Theiles über die Kunst des reinen Satzes nun haben werden. In selbigem stehet ein Kyrie vom Stölzel, welches der nemliche Canon von dem beigeschickten Unterricht vom Canon ist.

In kurzem will ich Ihnen zwei Abhandlungen von meiner Arbeit überschicken, die, wenn Sie sie für werth halten, künftig in Dero folgenden Theilen einrücken können.

Sollten Sie sich in Verhältnisse der Töne oder Intervalle zu berechnen einlassen, so wäre mein Vorschlag, der gewiss gerecht ist, von der sonst gewöhnlichen Art abzugehen, nemlich die tiefen Töne mit grossen Zahlen, die höheren mit kleineren anzugeben, als z. B.
chart of interval ratios for the diatonic scale
Diese Art Berechnung gehet nur Orgelmachern an. Praktische Tonkünstler, wie auch theoretische in Betracht zur Ausübung der Kunst muss nach den Schwingungen behandelt werden, so dass, wenn man sagt: C schwingt 8mal, so folget, dass dessen Oberoctave c 16mal schwingt; und dieses wurde vom hier gewesenen grossen Mathematiker Euler von mir sehr gebilligt, dass ich von dem gewöhnlichen Schlendrian abginge, welches er auch selbst bei allen Gelegenheiten ebenso gehalten hat.

Da die Logarithmen für die meisten Musikanten Böhmische Dörfer sind, ohnerachtet sie bei der Musik wenig oder gar keinen Nutzen schaffen, so ist es nach meinem Sinn, auch deutlicher, sich durch bekannte Rechnungsart auszudrücken. Die gleichschwebende Temperatur ist schlechterdings ganz verwerflich, nur in diesem Fall nothwendig zu verstehen, um die Bände einer Theorbe, Laute oder solcher ähnlicher Instrumente als Psalter, Zitter u. s. w. recht zu legen, weil eine Temperatur ausser dieser Art jeder Seite ihr Recht nicht thut. Alle bisher herausgekommenen gleichschwebenden Temperaturen sind doch nicht vollkommen gleichschwebend, werden es auch in Ewigkeit nicht werden. Obgleich die grossen Mathematiker Zahlen von 200000 und darüber angenommen haben und dennoch sehr verschiedene Intervalle gleiches Namens vorbrachten, bei alle dem zufrieden waren, wenn eine grosse Terz gegen die andere um 50000 differirte, welches man doch mit wenigen Zahlen viel genauer haben kann, als z. B. eine grosse Terz 504 : 635, welches bei der Zusammensetzung dreier Terzen gegen die Octave nur um

   1    237
        ---[1]
1012047 253
zu tief ist.

     C. 1             :                 2
128024064                               256048128
  C.          E.          Gis.             c.
128024064 : 161300160 : 20322540(sic) : 256047875
                                        ---------
                                              253.

Desgleichen die kleine Quinte und übermässige oder grosse Quarte oder vielmehr zweier Tritonus einer Octave.

          408  :  577  :  816
           C.     Fis.     c.
              577  :  816
                   X
              408  :  577
           ------     -------
           332928  :  332929  Differenz.
Oder
          C. 408     Fis. 577     c. 816
                          577        408
                    -----------------------
                       332929      332928.

Wozu dienen die grossen Reihen Zahlen? Euler sagt, unser Ohr und Aug ist so gutwillig, dass es die kleinsten Fehler nicht bemerkt.

Denken Sie der Sache nach, denn der Musikus spricht jeder Zeit c-e-g-c schwingt zum Exempel

4, 5, 6, 8.
c, e, g, c.
und nicht umgekehrt, wie man es aufs Monochord aufträgt.

Wie ich auf diese mit wenigen Zahlen beinahe gleichschwebende Intervallen gefunden, können Sie aus beiliegendem Blättchen ersehen, allwo bei den grossen Terzen die Zahlen 504 : 635 die besten vorgekommen sind; ich zweifle auch, dass man mit so wenig Zahlen dem Ziele näher beikommen kann.

[Bellermann interpolates the table here:]
                      Grosse Terzen.
63001 |                 1 | 0
-----------------------------------
50004 | 1 . . . . . . . 0 | 1
12997 | 3 . . . . . . . 1 | 1
11013 | 1 . . . . . . . 3 | 4
 1984 | 5 . . . . . . . 4 | 5
 1093 | 1 . . . . . .  23 | 29
  891 | 1 . . . . . .  27 | 34
  202 | 4 . . . . . .  50 | 63
   83 | 2 . . . . . . 227 | 286
   36 | 2 . . . . . . 504 | 635
   11 | 3 . . . . . .1235 | 1556
    3 | 3 . . . . . .4209 | 5303
    2 | 1 . . . . . 13862 | 17465
    1 | 2 . . . . . 18071 | 22768
-----------------------------------
      |             50004 | 63001.





von mir gefundene grosse Terz zur gleichschwebenden Temperatur. Von dieser weiss Marpurg noch nichts; wüsste er es, so könnte er wieder ein ganz Buch davon von einigen Alphabeten schreiben.

Was die Grundtöne jeder Harmonie sind, hoffe ich deutlich theoretisch und praktisch erwiesen zu haben; ausser dieser Art wird wohl schwerlich jemand im mehr als vierstimmigen Satze sicher wissen, welche Töne verdoppelt werden können. Marpurgen sein Gewäsche wird meinen Lehrsätzen keinen Eintracht thun, und ich will die Zeit noch erleben, dass alle hiesige Butterkeller mit seinen elenden gedruckten Schriften werden angefüllt sein. Schon ist sein Verfall und bis vor einiger Zeit unverdienter Credit sehr gefallen, um so viel mehr, da jedermann hier weiss, dass er sein Fugenwerk ohne mich gar nicht schreiben können. Wie wenig er davon verstanden, zeugen seine nach seiner dummen Wahl eingerichteten Muster, die theils von ihm oder andern solchen schlechten Kerls sind, in welchen weder Gesang noch reiner Satz ist. Durch meiner dritten Abtheilung des zweiten Theiles scheint es, dass ihm die Lust vergangen ist, Pasquille zu schreiben, weil er befürchtet, und mit Recht, ich möchte ihm noch nachdrücklicher kommen. Von der Seite bin ich nun sicher, denn immediate wird er selbst keinen Versuch mehr machen; er hetzt aber andere Leute auswärts auf, wovon ich Ihnen ein näheres berichten werde, z. B. eines erhaltenen Briefes und einer Antwort, womit dieser Streit hoffe ich, beigelegt sein wird. Im Fall nicht, so antworte ich keinem Menschen, sondern suche lieber der Welt auf bessere Art nützlich zu sein, als mich mit solchen Grossthuern in eine heckermässige Zänkerei einzulassen.

Der bei mir gewesene Herr Schulz, ehemaliger hiesiger gewesener Musikdirector des französischen Theaters lässt seine grosse Empfehlung an Ihnen vermelden. Er sagt mir, dass Herr Forkel und er bei einem Cantor Herrn Schumann zu gleicher Zeit in Lüneburg studirt hätten.

Was der verstorbene Professor Lampert bei der hiesigen Akademie über die Temperatur im Jahre 1774 herausgegeben, ist mit mir der Unterschied, dass ich im J. 1766 vom C aufwärts bis d sieben reine Quinten zu 2/3 und eine grosse Terz dazu vom d nach fis 8192/10935 zum erstenmal in Druck gab und er hernach vom Cis statt C zum cis statt d durch sieben reine Quinten in die Höhe ging und dann von da zur grossen Terz f. Diese Entdeckung scheint von so wenigem Werth, als wenn jemand einen Composition, welcher ein Stück aus dem F componirt hat, es ins E um einen halben Ton tiefer transponirt, und dann die Composition für seine Arbeit ausgeben wollte. Ich hatte es ihm auch erst gewiesen, und zwar zu einer Zeit, da Lampert auch noch nicht das geringste sich mit musikalischen Beobachtungen abgegeben hatte.

                          37 = 10935 log. = 0,1254289
7 Quinten + Tertia maj. =      -----
                          27.44 8192 log: quad. rad. 0,1254292
	Fis.  10935 |
	------------|
	cis.  16384 |
	       5449 |   1,498308
	      43740 |   1,498307.
	------------|   ---------
	      10750 |
	      98415 |
	------------
	       9085
	      87480
	------------
	       3370
	      32805
	------------
	       8950

Ein Billet des verstorbenen sel. Herrn Prof. Sulzer eigener Handschrift überschicke ich Ihnen mit, wobei meine temperirte Temperatur von ihm damals logarithmisch berechnet ist und wie er damit zufrieden war.

Machen Sie einen Versuch, Ihr Clavier nach meiner Temperatur einmal zu stimmen, so werden Sie finden, dass jede Tonart erstlich vor der andern verschieden ist, zweitens ebenso, jeder Accord klingt als wenn man eine ganze Kapelle ein Stück aufführen hört, da man jederzeit weiss, aus welchem Ton gespielt wird. In meiner Temperatur klingen die Accorde mit der Execution vieler Instrumente vollkommen sich ähnlich, so dass man gleich hört, dass dies D-moll oder F-moll, G-dur oder E-dur z. Ex. ist.

Die Art dieselbe geschwind zu stimmen, so stimme ich entweder vom Cis durch sieben Quinten nach d rein, füge die reine Terz fis hinzu. Nun habe ich die Quinte Fis-cis, welche um 1/12 des Quintenexcesses zu tief ist, durch die sieben reinen Quinten und eine grosse Terz erhalten. Vom fis stimme ich die Unterquinte H rein, und vom H die Unterquinte E rein (versteht sich aber in oberen Octaven, z. Ex. der ungestrichenen und eingestrichenen). Nun fehlt a noch, dies wird um so viel niedrig gestimmt, dass es als Oberquinte vom D und als Unterquinte vom e, brauchbar und erträglich wird. Oder wenn man will, lasse man C-e ganz rein, und stimme diese vier Quinten C-G, G-d, D-A, A-e, jede Quinte abwärtsschwebend, so wird jede Quinte niemand übellautend vorkommen.

Bei der ersten Art, in welcher Fis-cis gegen 2/3 um 1/12 des Quinten-Excesses zu tief ist, und D-A und A-e beide zusammen um 11/12, so dass D-A 5 1/2 und A-e auch 5 1/2 hat, oder wenn man will, D-A 6/12 oder 1/2 Comma von 80/81 und A-e 5/12 könnte man ein nahes Mittel folgender Art haben:


	D. 9.               A.              e. 20
	                   161                240
	                   161                108
	                ------            -------
	                 25921              25920
	    näher:
	D. 9.               A.              e.
	34776             51841             77280
	                  51841             34776
	             ----------        ----------
	             2687479281(sic)   2687489280.
	   ----------------------------------

Und zwischen C e das Mittel:

	 C. 1.     G.       d.       a.        e'. 5.
	23184             51841              115920
	                  51841               23184
	             ----------          ----------
	             2687489281          2687489280.

Oder wenn man von C nach e 80 : 81 in vier Quinten vertheilen will, kann es folgender Art geschehen:

	C-G  216 : 323 temperirte Quinte = 2/3 - 1/324
	     216 : 324 reine Quinte
	      -------------------------------------
	G-d  215 1/3 : 322 temperirte Quinte = 2/3 - 1/323
	     215 1/3 : 323 reine Quinte
	      -------------------------------------
	A-e  214 2/3 : 321 temperirte Quinte = 2/3 - 1/322
	     214 2/3 : 322 reine Quinte
	      -------------------------------------
	D-A  214 : 320 temperirte Quinte = 2/3 - 1/321
	     214 : 321 reine Quinte
	      -------------------------------------

Auf eine andere Art der Quinten-Excess vertheilt in drei Quinten, wie auch in fünf Quinten:


	        |      |  oder  |  oder  |
	---------------------------------|
	C-G     |   0  |  0     | -2     |
	Cis-Gis |   0  |  0     |  0     |
	D-A     |  -6  | -5 1/2 | -3 1/2 |
	Dis-B   |   0  |  0     |  0     |
	E-H     |   0  |  0     |  0     |
	F-c     |   0  |  0     |  0     |
	Fis-cis |  -1  | -1     | -1     |
	G-d     |   0  |  0     | -2 1/2 |
	Gis-dis |   0  |  0     |  0     |
	A-e     |  -5  | -5 1/2 | -3     |
	B-f     |   0  |  0     |  0     |
	H-fis   |   0  |  0     |  0     |
	---------------------------------|
	        |  12  | 12     | 12     |

Gleichschwebende Temperatur:


C. | Cis |  D  | Dis |  E  |  F  | Fis |  G  | Gis |  A  |  B  |  H  |  c
---------------------------------------------------------------------------
   |  7  |  2  |  9  |  4  | 11  |  6  |  1  |  8  |  3  | 10  |  5  |  0
---------------------------------------------------------------------------

Abweichung meiner beiden Temperaturen gegen die angezeigte gleichschwebende:


	     | C |Cis|  D   |Dis| E | F |Fis|  G   |Gis|  A   | B | H | c 
	     |---|---|------|---|---|---|---|------|---|------|---|---|---
	 I.  | 0 |-5 |+2    |-3 |-7 |-1 |-5 |+1    |-4 |-2 1/2|-2 |-6 | 0 
	     |---|---|------|---|---|---|---|------|---|------|---|---|---
	II.  | 0 |-5 |-3 1/2|-3 |-7 |-1 |-5 |-1 3/4|-4 |-5 1/4|-2 |-6 | 0 
	      ------------------------------------------------------------

So viel von Temperaturen. Sulzer's Handschriften über meine Temperatur erbitte ich mir gelegentlich zurück.

Mit dieser Materie von Temperaturen werde ich Sie niemals belästigen. Ich muss auch ganz nicht mehr daran gedenken, weil ich viele Jahre damit die Zeit verdorben habe. Damals, wo ich ging und standte, rechnete ich immer: es ist eine Arbeit für einen Baugefangenen oder für einen Menschen ohne Genie.

Bellermann reports that the letter breaks off at this point.



[1] The AMZ copy was clearly changed while in preparation. The expression probably should equal the continued fraction:
1 / (1012047 + (237/253)), based on some of the later expressions in the letter.